Ich war diesen Sommer zum ersten Mal beim Wacken Open Air und nach einer gefühlten (und echten) Ewigkeit wieder beim Summer Breeze in Dinkelsbühl – wenn auch nur für einen Tag. Zwei Festivals, die – bei allem Kommerz, der sich längst wie ein klebriger Film über die Szene gelegt hat – immer noch für das stehen, was mich seit 25 Jahren fesselt: Ein Haufen liebenswerter Verrückter, die freundlich, friedlich, hilfsbereit und tolerant sind.
Natürlich: Über toxische Männlichkeitsbilder ließe sich stundenlang diskutieren, ebenso über das Gatekeeping, die mangelnde Diversität oder die schleichende Disneyfizierung des Metal. Aber im Kern bleibt doch dieses fragile, kostbare Gefühl: Hier achtet man sich. Hier hilft man sich. Hier gilt für ein paar Tage das seltene Motto: Leben und leben lassen.
Aber ein Phänomen ist mir beim Summer Breeze derart gegen den Strich gegangen, dass ich mich nun hinsetzen und diesen Text verfassen muss. Dieses elende Crowdsurfing. (Auf Wacken war’s dafür zu matschig – man könnte sagen: Schlamm schützt vor Idioten.)
Um das gleich vorwegzunehmen: Ich bin nicht zartbesaitet und mir sind die „Regeln“, die im vorderen Drittel der Crowd gelten, seit über zwei Jahrzehnten bekannt. Ganz im Gegenteil: Ich liebe Moshpits. Ja, da gibt’s auch mal Blutergüsse, Rippenstöße und Stürze – aber der Punkt ist: Das alles ist freiwillig und läuft nach ungeschriebenen Regeln ab. Wer in den Moshpit geht, weiß, was ihn dort erwartet. Wer darauf keine Lust hat, bleibt draußen und schaut sich das entspannt von der Seite an. Alles gut.
Und um auch das gleich zu sagen: Ich habe auch kein Problem mit vereinzelten Stagedivern. Zwar empfinde ich auch Stagediving bereits als nervtötend, aber sei's drum – wenn es denn sein muss. Es hat ja durchaus etwas von einem Akt des radikalen Vertrauens, einer Selbstaufgabe. Da wirft sich jemand von der Bühne in die Menge – ein Sprung ins Kollektiv. Man landet, wird aufgefangen, vielleicht ein paar Meter getragen – und verschwindet wieder im Pit.
Crowdsurfing hingegen ist die pervertierte Spätform dieses Rituals. Hier geht es nicht um den Sprung ins Ungewisse, vielmehr wird man aus der Mitte des Publikums hochgehoben und nach vorne gereicht (schon das ist völlig idiotisch – zur Hölle nochmal, ich habe hinten keine Augen, ihr Deppen!). Dieses selbstzufriedene Schweben auf den Händen und Nacken anderer hat etwas zutiefst Narzisstisches – und Idiotisches.
Bei Gojira auf dem Summer Breeze sah das Ganze dann zeitweise so aus: Alle paar Minuten wird man von hinten angetippt oder hat direkt Stiefel im Nacken, und man reicht die schweißnassen Körper doch weiter, weil man zu zivilisiert ist, diese wandelnden Ego-Projekte einfach fallen zu lassen. Und als ob das nicht ausreicht, grinsen einen die luftfahrenden Helden dann auch noch an – das Smartphone fest umklammert für den Insta-Feed, versteht sich. Alles für das eigene Ich-Museum, Metal nur noch als Kulisse für die Selbstdarstellung.
Crowdsurfing ist in diesem Sinne irgendwie ein Spiegel unserer Gegenwart, in der das Individuum das Kollektiv nicht mehr sucht, sondern es instrumentalisiert. Vom Stagedive – der Selbstaufgabe – zum Crowdsurf – der Selbstvermarktung.
Unpopular Opinion? Vielleicht. Aber beim nächsten Stagediver gehe ich einen Schritt zur Seite. Vielleicht :-).